Eine Exkursion des Gestaltungs- und Medientechnik-Kurses im Jahrgang 13 in die Papierfabrik LEIPA nach Schwedt lässt uns den Weg bei der Herstellung von neuem aus altem Papier verfolgen.
Jeder kennt die blauen Tonnen, in die wir vorbildlicherweise unser gebrauchtes Papier werfen sollen. Doch was passiert mit dem Inhalt dieser Tonnen? Wird er wirklich der Umwelt zuliebe wiederverwendet oder am Ende doch mit dem restlichen Müll aus all den anderen bunten Tonnen zusammengekippt, um lichterloh brennend schädliche Gase in unsere Atmosphäre zu pumpen? Zumindest für einen Teil der blauen Tonnen können wir diese Frage beantworten und begeben uns auf eine Reise an die Oder…
Eingezwängt zwischen Baumarkt-Werbeprospekt und Programmzeitschrift wird das dicht beschriebene Blatt, das im letzten Schuljahr noch eine Seite in Karinas Hausaufgabenheft war, auf der Ladefläche eines Lkw durchgerüttelt. Endlich ist das Ziel erreicht: das LEIPA Werk Schwedt Süd. Das blaue Logo auf der riesigen Halle strahlt mit dem wolkenlosen Himmel um die Wette, als der voll beladene Lkw auf die Waage fährt – 38 Tonnen Vollgewicht.
Ein Stück weiter wird die ganze Ladung unsanft abgeschoben. Flinke Hände durch – wühlen mit geübtem Blick die angelieferte Ware – die Qualität muss stimmen, denn der Preis für gutes Altpapier ist mittlerweile hoch und dafür nimmt man nicht irgend etwas. Karinas ehemalige Heftseite besteht den Test und darf bleiben. Der Lkw wird auf dem Rückweg erneut gewogen: 14,5 Tonnen Leergewicht. Eine schnelle Rechnung ergibt also 23,5 Tonnen angelieferter Rohstoff. In einem Jahr kommen so über eine Million Tonnen Altpapier hier in Schwedt an; an Spitzentagen in rund 500 Lkw pro Tag. Damit es dabei keinen Stau gibt und die Mitarbeiter noch den Überblick behalten, müssen die Speditionen papierlos über das Internet ein Zeitfenster für ihre Anlieferung buchen. Zeitungen und Zeitschriften, Werbeprospekte und Flyer, alte Hefte, Postkarten und Rechnungen; all das wird nun in einer der drei Aufbereitungsanlagen in Wasser und Chemikalien aufgelöst und zerfasert.
Die alte Farbe auf den Fasern wird im sogenannten De-Inking (de-inken bedeutet Abtrennen der Druckerfarbe) entfernt, damit man am Ende wieder weißes Papier erhält. Gelöscht also die Mathematik-Hausaufgaben zu Donnerstag auf Karinas Heftseite und Platz für neue geschriebene und gedruckte Informationen, die das Papier in die Welt trägt. Der etwas muffige Geruch bei diesem ganzen Vorgang ist nicht auf die Maschinen zurückzuführen, sondern auf die Bakterienstämme, die sich im Naturprodukt Papier natürlicherweise bilden. Da auch diese allgegenwärtigen Winzlinge essen und atmen, scheiden auch sie müffelige Gase aus, die unsere Nase beim Gang durch die Anlage bemerkt.
Da manchen Menschen anscheinend nicht klar ist, dass ausschließlich Papier in die blauen Tonnen gehört, finden sich leider auch viele andere Gegenstände in unserem Papierbrei wieder: verbeulte Blechdosen, kaputte CDs, aufgerissene Kunststoffbehälter und sogar ein abgetragener Sportschuh schwimmen an Karinas mittlerweile aufgelöster Heftseite vorbei. Diese ungewollten Begleiter müssen entfernt werden. Das geschieht mithilfe von physikalischen Gesetzen und lauten Maschinen voll automatisch. Durch rotierende Trommeln werden beispielsweise Glas und Steine aus der Masse herausgeschleudert. Ein Sieb hält Folie oder Klebestreifen zurück und mit einem starken Magneten werden Büro- und Heftklammern aus dem Papierbrei herausgezogen. Der Anteil an solchen Abfällen macht in ungünstigen Fällen bis zu 10 % am Altpapier aus. Das sind 100 kg auf eine Tonne Altpapier. Bei einer Million Tonnen pro Jahr kommt somit eine stattliche Menge zusammen. Doch LEIPA arbeitet möglichst ökologisch: dieser Abfall wird unter strengen Umweltauflagen verbrannt und die so erzeugte Energie im späteren Prozess genutzt.
Das Thema Umwelt und besonders deren Erhaltung und Schutz ist mittlerweile in aller Munde. Während also der vom Müll gereinigte Papierbrei über lange Rohre in die Produktionsanlage gepumpt wird, stellen wir unserem LEIPA-Begleiter, Herrn Mägel, viele Fragen: Verpestet der aus den Schornsteinen aufsteigende Dampf die Atmosphäre? Woher kommt das viele Wasser, das für die Aufbereitung des Altpapiers nötig ist? Und wohin geht es, wenn es seinen Dienst getan hat? Und ist die Papierproduktion am Waldsterben (mit) schuld? Herr Mägel beantwortet geduldig alle Fragen und kann uns beruhigen: Der Dampf aus den Schornsteinen, der so schöne weiße Kringel in den blauen Himmel malt, ist lediglich Wasserdampf. Das für die Aufbereitung benötigte Wasser wird der nahen Oder entnommen und auch wieder dorthin zurückgeleitet. Allerdings sind auch hier hohe Umweltstandards einzuhalten. Und lediglich 20 % des gesamten in Deutschland gefällten Baumbestandes teilen sich alle Papierfabriken untereinander. Mit den restlichen 80 % haben sie nichts zu tun. Zumal der Rohstoff in der LEIPA Papierfabrik ja nicht das Holz unserer Wälder, sondern eben Altpapier ist. Rund zehn Mal kann ein Blatt Papier recycelt werden. Danach sind die Fasern so ausgemergelt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sich an andere zu binden, und somit aus dem Prozess herausfallen. Karinas Heftseite hat also noch einige Leben.
Die nächste Station für den Papierbrei ist die riesige Papiermaschine. Insgesamt vier Papiermaschinen gibt es bei LEIPA in Schwedt. Die modernste davon dürfen wir besichtigen. Unglaublich, wie viel Papier da auf 8 Meter langen Rollen an uns vorbeirast. Und rasen ist nicht übertrieben, denn die Rollen bewegen das Papier mit einer Geschwindigkeit von 1700 Meter pro Minute – das sind 102 km/h! Auf den Rollen wird das Papier geglättet und getrocknet. Der Dampf für die Trocknung kommt von der Abfallverbrennung. Es gibt um die 3000 Papiersorten: grafische Papiere, Wellpappenrohpapiere, Spezialpapiere usw. In der LEIPA Papierfabrik in Schwedt werden hauptsächlich zwei davon hergestellt. Zum einen Verpackungspapier, sogenannte Liner. Das ist die bedruckbare, weiße Deckschicht bei Verpackungen. Zum anderen gestrichenes Magazinpapier. Gestrichen bedeutet, dass eine Art Kreideschicht auf das Papier aufgetragen wird, um dieses zu veredeln. Es glänzt danach und lässt sich hochwertiger bedrucken.
Mit zwei großen Walzen wird die Schicht oben und unten auf das Papier aufgetragen und macht am Ende bei manchen Papierarten rund 25 % (also ein Viertel) des Gesamtgewichts aus. Das Rezept dieser Farbmischung wird streng gehütet, denn die hohe Qualität ist natürlich ein Wettbewerbsvorteil. Nach dem Färben wird das Papier bei 400 °C getrocknet. Auf der letzten Walze der Papiermaschine wird das gestrichene und getrocknete Papier sauber aufgerollt. Diese Walze trägt am Ende um die 55 Tonnen Papier. Das ist für jeden Transport und jede Weiterverarbeitung zu schwer. Daher muss das gesamte Papier nun auf kleinere Rollen verteilt werden. Danach wird es vom Twister lager- und transportfähig hergerichtet. Der Twister ist ein kleiner Roboter mit langen, beweglichen Armen, der die Papierrolle in Packpapier wickelt, dieses an den Enden faltet, Pappdeckel darüber klebt und die Etiketten darauf befestigt. Beim Zuschauen wird klar, warum er nach einem Tanz benannt ist, bei dem sich die Gliedmaßen mehr oder weniger rhythmisch verdrehen.
Karinas Hausaufgabenheftseite gibt es nun nicht mehr. Stattdessen stehen in einer der größten frei tragenden Lagerhallen Europas etliche frische Papierrollen, die sich darauf freuen, bald zu neuen Zeitschriften, Flyern und anderen Druckerzeugnissen verarbeitet zu werden. Wenn ich das nächste Mal eine dieser Drucksachen in Händen halte, werde ich an LEIPA denken. Und die Digitalisierung? Ist sie eine Bedrohung für die Papierfabriken? Herr Mägel schmunzelt. Er glaubt nicht, dass Papier jemals vollständig abgelöst werden kann. Allein für Verpackungen wird es trotz der Digitalisierung immer nötig sein. Oder auch gerade deswegen. Denn all die Online-Versandhäuser liefern ihre Ware in Kartons und schön bedruckten Verpackungen.